Ali Fathis fesselnder autobiografischer Roman umfasst einen weiten historischen Rahmen und setzt sich mit den lebenslangen, oft destabilisierenden Folgen für Betroffene von Gewaltherrschaft und kolonialen Bedingungen auseinander.
Der Gomnam genannte Erzähler offenbart und reflektiert zuvor teilweise verdrängte, unbewältigte, authentische Erinnerungen, Erfahrungen und Gedanken eines Menschen, der im Iran verschiedene Namen trug. Das Pseudonym Gomnam steht dabei stellvertretend auch für die Bedeutung der vielen ähnlichen, unsichtbaren, nicht erzählten, verlorengegangenen Erlebnisse und Schicksale seiner Generation.
Zu Beginn der Erzählung erwacht Gomnam, inzwischen im schon reifen Alter, aus einer Narkose in seinem Aufnahmeland Deutschland. Zunächst noch verwirrt, reflektiert und analysiert er seine Erfahrungen mit Leben und Tod, der wie andere Tabuthemen eine zentrale Rolle für ihn spielt, geprägt durch gesellschaftliche Zwänge, eigene Erfahrungen mit Gewalt, Unterdrückung, Entrechtung, Verfolgung, Inhaftierung und Folter, begleitet vom Zweifel an religiösen Vorstellungen von Paradies, Hölle und Fegefeuer.
Der Text wechselt von Kindheitserinnerungen, dem familiären Umfeld über das Leben als Schüler und Student zum untergetauchten jungen Erwachsenen im Iran, weiter zu den Gefahren der überlebensnotwendigen Flucht und resultierend den Herausforderungen eines jahrzehntelangen Lebens im Exil.
Wo sich die Erinnerungen des Protagonisten den fragmentarischen Exkursen politischer Zustände widmen, zeichnen seine inneren Monologe bildhaft ein trauriges Gemälde der jüngeren historischen Entwicklung des Iran, welches die Leser*innen einlädt, sich der Geschichte dieses Landes weiter zu nähern und sich ein eigenes Bild zu schaffen.
Arni Mehnert: Kuratoriumsmitglied der Internationalen Liga für Menschenrechte e.V.
Dr. Ali Fathi
Autor, Coach und Trainer
Email: info@miteinanders.de
Telefon: +491795403257
www.miteinanders.de
Inger Hamdorf –
Die Psychologin und Therapeutin Dileta Sequeira arbeitet seit 2001 in Deutschland.
Im Tectum Verlag erschien 2015 ihr Buch „Gefangen in der Gesellschaft – Alltagsrassismus in Deutschland: Rassismuskritisches Denken und Handeln in der Psychologie“( http://www.dileta-sequeira.com).
Als Trainerin bietet sie Seminare, Workshops und Vorträge zum Thema an und hat zahlreiche Artikel veröffentlicht.
Sie arbeitet phänomenologisch und prozessorientiert als Traumatherapeutin (u.a. Somatic Experiencing® ) im Bereich von Alltagsrassismus. Aus der Perspektive ihres machtkritischen, weltsystemischen Ansatzes rezensiert sie das Erzählwerk Gomnam von Ali Fathi:
Gomnam ist Viele. Gomnam ist eine politische (Auto)Biographie einer Weltgeschichte.
In Großzügigkeit erzählt Gomnam persönlich von Historien, Personen, Weltgeschehen. Die Erzählweise ist poetisch, sanft, staccato, zündend, warm. Erinnerungen, Bilder, Gefühle, Mythen, Wunder und Weisheiten. Von Eseln.
Die Vielen erzählen von Besetzung, Zwangsarbeit, Aneignen von Öl, Tee, Reis, Rohstoffen. Die Vielen glauben lieber an eigene Waffen als an Vertrauen in kommende, gehende, gekaufte politische Systeme. Installierte Herrschaften für Privilegien kolonisierender Länder, westlicher russischer Allianzen. Demokratie als Name der Ausbeutung rohstoffreicher Länder. Ausbeutung von vielen Gewaltherrschaften, wiederholte Regimewechsel, Diktatoren als Heilige.
Gomnam erzählt von Trauer, Angst, Schmerz, Zorn, Zorn Gottes, Zorn der Gottlosen, Asyl. Gomnam kennt Glaube, Gebet, Mannwerden, Trauma. Die lange Reise des Werdens der vielen Ichs. Mirja, Schreiber, Erzähler.
Erzählung von Weltgeschichte, Kolonialgeschichte, nicht die Geschichte des Westens für den Westen. Verteilungsinteressen der kolonialen Besatzungsmächte. Kolonien werden gegen Kolonien von den Kolonisierenden eingesetzt: „Divide und Rule“. Die diplomatischen Beziehungen Deutschlands zum Iran: Sympathie des Irans, Gier der Deutschen, Nazi- Deutschland, Arier-Sein, Antisemitismus. Der ideologisch geprägte Kalte Krieg als Fortsetzung der Kolonialgeschichte. Missionierung, Versklavung und transgenerationale Kontinuitäten von Macht, Ausbeutung, Gewalt, Trauma.
Gomnam wird zum Politischdenkenden und -handelnden: Studierender, Mannwerdender, Soldat. Lesender von Literatur des eigenen Landes und des Westens. Studium, Proteste, Repressalien, Verletzung, Inhaftierung, Trauma, Einsamkeit. Suchender auf unklarem Weg, Verlorener.
Öl als große Überschrift: Legale und illegale Ölkäufe für das Ölmonopol des Westens. Dennoch 1973 die Ölkrise (und viele andere). Plünderung von 85% der Welt von den Räuberbanden g7, g8, g20 im Namen der Förderung der Zivilisation und Menschenrechte. Verkauf von Waffen: DDR, BRD, UdSSR leeren ihre Bestandsreste, machen sich Platz für moderne effektive Waffen, inszenieren den Irak- Iran (und andere) Krieg(e). Sogenannte Förderung sogenannter Menschenrechte, Schleier der Demokratie, Entwicklung der sogenannten Revolutionen: Orange, Arabische.
Universitäten, Kulturrevolution, Islamisierung, Säuberungspläne. Gomnam wird von einer Granate des Asylgebenden Landes getroffen. Er überlebt mit Granatsplittern „made in germany“. Die Verletzung seines Körpers als auch seines Liebeswesens.
Trauma, Flucht: Deutschland – das Asylgebende Land, das an vielen Verbrechen im Herkunftsland beteiligt war und ist. Gomnam geht in die Diaspora: Neue Heimat, Rassismus, Exil, Trauma, Familie, Vergebung, Dankbarkeit … Ein neues Lebens- und Liebeswesen.
Der Verlust dieser einer Heimat, vergangen und immer werdend gegenwärtig. Der Schmerz, auch wenn Heimat überall sei. Distanz, Abkapseln – ein Teil für immer verloren, irreversibel.
Gomnam lädt uns zu Klarheit ein. Wahrnehmung von Schichten der wiedergefundenen Geschichten. Gomnam ist ein Pseudonym. Identitäten wird eine Stimme verliehen. Erzählende Personen- und erzählte Weltengeschichten. Gomnam klärt uns auf.
Gomnam ist Viele. Gomnam ist (K)eine(r). Gomnam ermöglicht Heilung. Gomnam lädt sich und uns alle zu Menschwerdung ein.